Martin Amanshauser

Forellenfischen am Vulkan

Auf der Nordinsel Neuseelands: faule Eier, Geysire und tonnenweise Fische.

Ist bei den Antipoden alles umgekehrt? Berührungsängste sind zunächst durchaus begründet! Sagen wir, Sie erreichen Neuseeland am Flughafen von Auckland und nehmen frühmorgens einen Mietwagen, um ins Zentrum zu fahren. Beim Einsteigen begreifen Sie, dass Sie in diesem Land wohl oder übel die linke Straßenseite benützen müssen – zum ersten Mal in Ihrem Leben. Und so wackeln Sie jetzt der Innenstadt entgegen, zwischen tausenden fröhlichen, schwungvollen Neuseeländern, die alle nicht wissen, dass Sie ein Zombie sind! Gilt hier rechts vor links? Wie fährt man in Kreisverkehre ein?

Keine Panik – in Auckland herrschen zwar Großstadtregeln, doch Ihre Verkehrskollegen werden trotzdem viel lächeln. Denn sie sind noch frisch, sie sind fast wie Sie – alle noch nicht besonders lange da. Jedenfalls, wenn man die vergleichsweise kurze neuseeländische Geschichte betrachtet: Die Einwanderung aus Polynesien durch die Maori erfolgte im 14. Jahrhundert, Europäer entdeckten das Land erst 1642 (Abel Tasman), der Empfang war jedoch so feindselig, dass erst John Cook (1769) wieder Kontakt knüpfte.

Damals wurde noch debattiert, ob Neuseeland ein Kontinent oder eine Insel sei, bald wusste man: zwei Inseln, beide zusammen etwas größer als Großbritannien – jenem Land, an dem man sich später maß, mit dem man sich gleichzeitig verbündete und sich von ihm trennte (im später lange umkämpften Vertrag von Waitangi 1840), dem man kulturell und in Hassliebe verbunden blieb. Neuseeländer halten sich gelegentlich für die besseren, aufgeklärteren Briten, und trotzdem würde keiner von ihnen widersprechen, wenn man behauptete, dass bei den Antipoden alles umgekehrt sei.

Unter ihren Füßen liegt eine blubbernde, junge Geologie, die Vulkanbasis für grüne Hügel, Flussschluchten und milde Ebenen mit Schafen 19 verschiedener Arten, die seit Jahrhunderten die europäische Phantasie beschäftigen. Und als der britische Autor Duncan Fallowell im vergangenen Jahr mit dem Mythos Neuseeland gründlich aufräumte, ging ein Raunen durch das kleine Land rechts unten am Weltkartenrand: da schrieb einer, dass es hinter der hübschen Sehnsuchtskulisse gar nicht so perfekt zuging. Die Neuseeländer seien fett, hässlich, emotionslos, prüde, ihr Wein von Snobs überschätzt, das ganze Land ein „philisterhaftes Höllenloch“. Was für ein Skandal! Doch einer, der gleichsam von der Landschaft aufgesogen wird. Denn um sie geht es hier. Auch wenn Auckland eine großartige Stadt ist – mit ihrer einmaligen Lage auf einem Teppich erloschener Vulkane, dem spektakulären Sky Tower und der raffinierten koreanischen Restaurantkultur – jeder Neuseeländer wird einem raten, die Stadt, in der immerhin ein Drittel der Landesbevölkerung lebt, zu verlassen. Und vielleicht die eine oder andere Woche – Vorsicht, Linksverkehr – über die Nordinsel zu gondeln.

Wer nicht sofort zu den klassischen Destinationen vordringen will (Glühwürmchen in den Waitomo Caves beobachten, den Whanganui-River mit dem Boot erkunden), der kann aber auch einfach losfliegen. Das Bodenpersonal der Mountain Air am Flughafen von Auckland hat nur einen winzigen Kobel. Elektronische Anzeigen gibt es hier keine. Knapp vor Abflug warten die drei bis sechs Fluggäste zusammen, bevor sie zu einer 10-sitzigen Maschine geführt werden, die sie in eine völlig andere Welt entführt: Great Barrier Island ist 88 Kilometer von Auckland entfernt, und doch Naturdestination. In der Sprache der Maori heißt diese Insel Aotea (weiße Wolke). Sie soll von den Göttern zuerst entdeckt worden sein, bevor Neuseeland (Aotearoa), sozusagen die ganz große Wolke, lang und weiß, dahinter auftauchte. Mountain Air landet im malerischen Tryphena: ein bis zwei Shops, sonst gar nichts zu sehen.

Great Barrier, 285 Quadratkilometer Fläche, hat eine Epoche hinter sich, als man nur durch 14-tägigen Schiffsverkehr und ansonsten durch Taubenpost mit der Landmasse verbunden war. Hier gab es Walfang, Minenindustrie, Holzfabrikation – alles vorbei. Heute ist es ein Luxusstück Erde für knapp tausend Bewohner, die denkbar provinziellste Provinz mit der denkbar höchsten Lebensqualität. Beim Hafen Port Fitzroy erstreckt sich das Naturschutzprojekt Glenfern Sanctuary. Auf dieser abgegrenzten Halbinsel kämpft man mit Zäunen und Fallen gegen Ratten, versucht, endemische Spezies neu einzusetzen, Vögel wie zum Beispiel die Langbeinschnäpper. Vorher muss es gelingen, aggressive kleine Säugetiere fernzuhalten, die sich an Kleinvögeln gütlich tun.

Great Barrier Island hat Surfbuchten, Spazierwege und heiße Quellen – allerdings keinen Bankomaten und nichts, was einem Individualtouristen weiterhelfen würde. Man muss schon vorbuchen – in einer der Lodges, wie sie etwa von Trevor und Carol Rendle betrieben wird. Die Aussteiger aus Auckland haben ihre „Earthsong Lodge“ errichtet, eine atmende Konstruktion aus Wärme speicherndem Strawbail, kühl im Sommer, warm im Winter, umgeben von Primärvegetation und mit Panoramablicken aufs Meer. Am Abend kocht Trevor, Mitglied des „International Slow Food Movements“, privat vor dem Kamin auf: New Zealand Lamb Tenderloin oder Krabbenbrote mit Rosmarin.

Den Lake Taupo, den größten See Neuseelands, hob, vor 25.000 Jahren, mit unvorstellbarer Kraft der größte Vulkanausbruch der Weltgeschichte aus: eines von zwei historischen Ereignissen, die Stärke 8 im „Vulkanexplosivitätsindex“ erreichten. Damit nicht genug: Im Jahr 180 fand am Taupo die größte Eruption statt, an die sich die Menschheit erinnert – Erdmaterial flog bis zu fünfzig Kilometer hoch, sichtbar war das bis nach China. An den Ufern des kühlen Sees stehen DANGER-Schilder: Vorsicht beim Hineingehen, heiße Quellen. Wer auf den falschen Punkt tritt, kann sich verbrühen! Fische kommen diesen Kraftzentren der Hitze nicht nahe.

Derjenige, der vor über hundert Jahren ein paar Forellen in den Lake Taupo warf, war sich der Auswirkungen wohl nicht bewusst: er gilt heute als Weltzentrum der Forellenfischerei. Die Regenbogenforellen dürfen aber nur zu Sportfischzwecken verwertet werden: sie serviert kein Restaurant. Hintergrund: der Taupo gehört ebenso zum lokalen Maoribesitz wie die Landstriche rundum. Einen guten Überblick kann man sich mit dem „Floatplane“ verschaffen – die kleine, hellgelbe Cessna startet und landet im Wasser, vorausgesetzt, das Wasser ist nicht allzu bewegt. Aus der Luft sieht man die Schlucht der violetten Huka-Wasserfälle und eine bizarre Thermallandschaft namens „Craters of the Moon“. Von hier aus verläuft der „Pacific Ring of Fire“ in nördlicher Richtung, eines der geothermisch aktivsten Gebiete der Welt, mit Geysiren, brodelnder Erde und dem Geruch nach fauligen Eiern. Rotorua, die „Schwefelstadt“, Nord-Neuseelands Tourismuszentrum, ist dafür am bekanntesten. Der Pohutu-Geysir spuckt Fontänen aus, die höher als zwanzig Meter spritzen. Die bequem an das Seeufer gebaute Stadt ringsum würde Sommerfrischecharakter verströmen, wäre da nicht der diesige schlammige Dunst, der bis in die letzte Ritze vordringt.

Rotorua ist von Maorikultur geprägt, der touristische Bonus besteht in Hangi-Mahlzeiten aus dem Erdofen: hier wird Schwein-, Schaf- oder Lammfleisch in Blätter gewickelt und mit Glühsteinen gegart. Neun von zehn neuseeländischen Maoris leben ja auf der Nordinsel – der Aufschwung der Communities ist unübersehbar, seit die Eingeborenenkultur, der rund 15 Prozent der Bevölkerung angehören, von speziellen Programmen gefördert wird. Heute spricht ein Viertel der Maori ihre eigene Sprache wieder flüssig, neuseelandweit ist die Hälfte der Maorisprecher jünger als 25 Jahre alt. Auch hier steht die anglikanisch-maori-geprägte Nordinsel im krassen Gegensatz zum katholisch-presbyteranischen Süden mit seinen Bergmassiven.

Nicht immer zeigt sich die vulkanische Natur gezügelt. In der Weingegend Hawke´s Bay war es 1931 so weit: Das große Erdbeben machte die Stadt Napier dem Erdboden gleich. Was damals für viele Menschen die größte Katastrophe war, ist heute die Ressource der kleinen Hafenstadt: sie wurde im Stil des Art Deco wieder aufgebaut und gilt als puristisches Lehrbeispiel des Stils. Ins National Aquarium of New Zealand, an der Wasserfront, gehen die Menschen nicht unbedingt wegen den Fischen, sondern wegen dem scheuen Nationaltier: zentrale Attraktion ist ein Saal mit Kiwis, die da im Dämmerlicht ihr bohrendes Unwesen treiben. Einige Kilometer weiter befindet sich Cape Kidnappers, die Naturschutzzone der Bucht. Auf alten Maoriwegen betrachtet man das feinste Dünensystem der Nordinsel. Das Klima begünstigt eine Region mit jährlich 2.200 Sonnenstunden. Im Hintergrund der Küstenlinie zeichnen sich Neuseelands älteste Weinberge ab, in denen zwei Drittel der Landesproduktion von Cabernet Sauvignon und Merlot angebaut werden. Die kleineren Weinkeller entlang der Straße bieten Verkostungen und Imbisse. Vorsicht jedoch bei der Heimfahrt: im gesamten Land herrscht eine Maximalgeschwindigkeit von 100 Stundenkilometern – sie wird von allen eingehalten – und dann ist da weiterhin Linksverkehr!

Air New Zealand, www.airnewzealand.de, fliegt mit einer Flotte von 93 Flugzeugen Ziele in Australien, dem Südpazifik, Asien, Nordamerika und Europa an. Innerhalb Neuseelands bedient die Fluggesellschaft 26 Städte und verfügt damit über das umfangreichste Streckennetz im Land. Verbindungen ab Deutschland, Österreich und der Schweiz bietet der Carrier mit Star Alliance-Partnern an. Mit Air New Zealand ist Auckland täglich direkt ab London-Heathrow über Los Angeles und über Hongkong zu erreichen.

GREAT BARRIER ISLAND: Flug mit Mountain Air (10-Sitzer) von Auckland, Dauer: 35 Minuten. Unterkunft: Earthsong Lodge, Trevor and Carol Rendle, Great Barrier Island 1240, bei Tryphena, www.earthsong.co.nz

NAPIER: National Aquarium of New Zealand, Marineparade, Napier, www.nationalaquarium.co.nz; Cape Kidnappers Tour, Napier, organisiert von Gannet Safaris, Michael Nielson (0274)507692, Summerlee, RD 2, Hastings, Info: gannetsafaris@xtra.co.nz, www.gannetsafaris.co.nz; Unterkunft:: Nevaria Bed & Breakfast, 59E Hatas Lane, Waiohiki, nach Taradale. Hawke´s Bay, www.nevaria.co.nz

WEIN: Hawke´s Bay Wine Country, www.classicwinetrail.co.nz, www. hawkesbaywinecountry.co.nz; Air New Zealand veranstaltet ebenfalls Wein-Awards: www.airnzwineawards.co.nz und www.wineshow.co.nz

TAUPO: Panorama-Flüge über den Lake Taupo: 07-3787500, www.tauposfloatplane.co.nz; Unterkunft: Acacia Cliffs Lodge, 133 Mapara Road, Acacia Bay, Taupo, www.acaciacliffslodge.co.nz.

WAITOMO CAVES: Abseiling bei Kieran McKay, www.absoluteadventure.co.nz; Unterkunft: Abseil Breakfast Inn, PO Box 34, Waitomo Caves, www.abseilinn.co.nz.

BUCH: Duncan Fallowell, Going as far as I can, Profile Books 2008.